Die
Gestalt des jungen Menschen in der Nachkriegszeit ist aus dem Jahre
1933. Die wissenschaftliche Arbeit liefert einen Beitrag zur
Aufarbeitung der deutschen Geschichte in den Jahren nach dem Ersten
Weltkrieg. Neben seinem Studium war Paul Krantz freier Mitarbeiter
der Frankfurter Zeitung. 1931 erschien sein Erstlingswerk der Roman
„Die Mietskaserne“ unter dem Pseudonym Ernst Erich Noth. Der Autor
stand dem nationalsozialistischen Gedankengut kritisch gegenüber,
konnte deshalb seine Promotion nicht abschließen, die hier in einer
Neuausgabe aus dem Jahre 2001 im glotzi Verlag publiziert wurde.
Anfang März 1933 flüchtet der Autor nach Frankreich, wo er unter dem
Namen Ernst Erich Noth lebte und schrieb, bevor er nach Amerika
ging. Anerkannt wurde seine Dissertation erst im Jahre 1971 an der
Johann Wolfgang Goethe Universiät-Frankfurt am Main, wo er sie 1933
abgebrochen hatte. Soviel zur Vorgeschichte: Diese
Dissertation ist
nach einer Einleitung zum Inhalt in 8 Abschnitte unterteilt, die mit
römischen Ziffern bezeichnet sind.
Meiner Meinung greift die Arbeit schon sehr
früh Themenbereiche auf, die erst in den 1970er Jahren mit einer
Umwandlung der Gesellschaft zu tun haben und unter dem Einfluß
modernster Strömungen stehen. Sie liefert geeignete Erklärungsmodelle
dafür. Dazu zählen in den 1970er Jahren die antiautoritäre
Erziehung genauso wie das pädagogische Summerhill-Projekt von
A.S.Neill. Der Rückblick auf die Zwischenkriegszeit im Anschluß an
den Ersten Weltkrieg ermöglicht mit Noths Buch eine ganz neue
Herangehensweise an geschichtliche Fragestellungen. Die Arbeit
distanziert sich jedoch ausdrücklich vom Kriegsgeschehen, dessen
Aufgabe es war junge Menschen zu verführen und an sich zu
binden, um im Krieg ihr Verderben im Namen des
Vaterlandes zu finden. Viele junge Männer sind im Ersten Weltkrieg
umgekommen, deren Pubertät keine Geltungsberechtigung gehabt
hat, weil sie dem Tod geweiht waren. Bei Noth handelt es sich
ausschließlich um eine literarische Auseinandersetzung, die sich
im Rahmen der Neuen Sachlichkeit mit der sozialen Frage befaßt.
Sie führt das auf den großen Weltkrieg zurück, integriert ihn
aber nicht. Soziologie, Psychologie und anderes setzte sich in
den 1920er und 30er Jahren verstärkt als eigenständige
Wissenschaft durch und warf wiederum neue Fragestellungen auf. Die Zwischenkriegszeit
selbst ist auch nur eine zeitliche Phase, die nach der Weimarer
Zeit in einen weiteren Krieg führen sollte, was ein Versagen auf
der ganzen Linie bedeutet. Das konnte Ernst Erich Noth nicht voraussehen.
Das Jugendlichen-Thema sollte erst nach dem Zweiten Weltkrieg
wieder aufgegriffen werden, was dafür um so heftiger in den
1950er Jahren mit der Rebellion der Jugend gegen die Eltern und
gegen die Gesellschaft geschah. Erst die 1970er Jahre vermochten die
intellektuelle Dimension der Jugendproteste zu erfassen.
Wiederum neue
Forschungsrichtungen entstanden, die soziale Frage bekam eine
neue Richtung gewiesen. In diesem Moment tritt Ernst Erich Noths
Dissertation über die Gestalt des jungen Menschen aus dem Jahr
1933 wieder in Erscheinung. Darin ist sie wichtiger Baustein für
die Kultur- und Literaturgeschichte in Deutschland. Darüber
hinaus ist es
ein interessantes Buch, allein die vielen Quellenangaben, die so
sehr von Authentizität zeugen, sind beeindruckend und ein
literarischer Schatz. Viele wichtige Autoren können mit
unglaublicher Frische behandelt werden, so als seien sie
aktueller als
nie zuvor im Buch. Andere sind heute fast vergessen, obwohl auch sie ihren
wesentlichen Beitrag zur Literaturgeschichte geleistet haben.
Hierbei gibt es noch einiges aufzuarbeiten, wobei Noths Arbeit
von wissenschaftlicher Bedeutung ist und dazu beiträgt fast
vergessene Autoren wieder zu entdecken.
I.Abschnitt:
erklärt die Bedeutung des Weltkrieges anhand moderner Literatur bis
1933 und beschreibt die soziale sowie die psychologische Verfassung
der Nachkriegsjugend. Daraus folgen Generationskonflikte und
überkommene Erziehungsprobleme.
II.Abschnitt: Erste
eigene Darstellungen der Nachkriegsjugend, der Pubertätsroman. Verknüpft Proteste und sexuelle Emanzipation.
III.Abschnitt: Der
Schulroman, Erziehungsprobleme zwischen Erzieher und Schüler.
IV.Abschnitt: Das
Kriegserlebnis als generationsbildender Faktor
V.Abschnitt:
Gesellschaftskritische Skepsis und Desillusionierung der
Nachkriegsjugendlichen. Der autobiographische und sozialkritische
Schlüsselroman.
VI.Abschnitt: Das
Verhältnis der Nachkriegsjugend nach 1918 zur Politik.
VII.Abschnitt: Der
Jugendliche im sozialen Roman.
VIII.Abschnitt: Die
Gestalt der jungen Mädchen im modernen Roman
Zuerst mußte der Inhalt
der Dissertation aus dem Jahr 1933 konserviert werden. Zahlreiche
Textstellen waren unleserlich geworden oder mußten ergänzt bzw.
Zitate korrigiert werden. Der Text wurde jedoch unverändert
übernommen; die Satzzeichen behutsam an die Lesegewohnheiten
angepaßt, die Quellenangaben vervollständigt, wie Lothar Glotzbach,
Herausgeber der Ausgabe aus dem glotzi Verlag bekanntgab. Erschienen
ist das Buch im Jahre 2001.
Das Vorwort des Autors
Ernst Erich Noth beginnt akademisch. In einer Erklärung beschreibt
er die Schwierigkeiten, die sich für eine solche Arbeit nach so
vielen Jahren stellen müssen. Es geht ihm darum den Faden in seiner
Auseinandersetzung an dem Punkt aufzugreifen, wo er 1933 abgebrochen
wurde. Bemerkt jedoch, daß mittlerweile viel Zeit vergangen und
umfangreiche Literatur erschienen ist, die nicht rechtzeitig
und ausführlich genug in seine Arbeit aufgenommen wurde. Was im
nachhinein nicht ergänzt werden kann, denn das
Ergebnis wäre dann verfälscht. Es geht immer wieder um die
Arbeitstechniken zur Bewältigung des aufgenommenen Stoffes. Die
aktuellen Debatten in den 1970er Jahren um die chronologische
Einordnung einzelner Autoren bereiten Noth mühe, denn andere wissenschaftliche Beiträge
haben sich seither zum Thema künstlerische Generation auf Forscher
und Wissenschaft ausgewirkt. Davon sollte die Arbeit von Ernst Erich Noth bis dahin ausgeschlossen bleiben.
Die Gestalt des Jünglings
war von jeher ein Gegenstand der klassischen deutschen Dichtung. Das
Problem des Jugendlichen und seiner Erziehung ist seit der
Aufklärung in der Dichtung dargestellt worden. Bahnbrechend wurde
Rousseaus „Emile ou l’’education“. Auch auf Goethe hat die
Rousseausche Erziehung gewirkt in seinem Entwicklungsroman „Wilhelm
Meister“, aber auch schon in seinem Erstlingswerk „Die Leiden des jungen
Werther“ kam der Name vor.
Im 20. Jahrhundert bezieht
sich die Soziologin Gerda
Eichbaum auf „die fortschreitende Emanzipierung des
Individuums“. Als Ursache für diese Entwicklung wird der
Determinismus in Charles Darwins Evolutionstheorie angeführt und der
damit hervorgerufenen Umwälzung in der Naturwissenschaft. Nicht
zuletzt wird Friedrich Nietzsche für die Umwälzungen
herangezogen.
Eurer Kinder Land sollt
ihr lieben, diese Liebe sei euer neuer Adel – das unentdeckte, im
fernsten Meere! Nach ihm heiße ich eure Segel suchen und suchen!
An euren Kindern sollt
ihr gut machen, daß ihr eurer Väter Kinder seid: Alles
Vergessene sollt ihr so erlösen! Diese neue Tafel stelle ich
über euch!
Also sprach
Zarathustra, Von alten und neuen Tafeln, 12
Eine der
Konfliktsituationen wird die der Väter mit den Söhnen beschrieben,
sie ist bereits ein Merkmal im Naturalismus und wird im
Expressionismus zur aufrührerischen Feindschaft gesteigert, was
schließlich in der gandenlosen Verkündung des „Vatermordes“ gipfelt.
Eine
Psychologisierung des Merkmals bestätigt dies im Ödipuskomplex. Der
Naturalismus brachte die Freilegung der technischen Möglichkeiten
für jede weitere Gestaltung des Jugendlichen Problems. Alter
entsteht aus defekten Normen, sagt Albert Soergel. Verlangsamter
Blutumlauf gibt sich in wilden Gebärden der Jugend als alternde Reife aus.
Literarisch gesehen sind Leonhard Frank und Franz Werfel,
diejenigen die das Problem am stärksten aufgreifen.
Dazu zählen Autoren wie Walter Hasenclever und Arnolt Bronnens.
Im Gegensatz zum
Entwicklungsroman der älteren Generation wird im Roman der Neuen
Sachlichkeit der Jugendliche zum Objekt der Darstellung, indem sich der
Jugendliche selbst darstellt und ohne Distanz von sich aus
berichtet. Die Neue Sachlichkeit hat die Gattung des sozialen Roman
wiederbelebt. Es wird hier nicht vom Jugendlichen
schlechthin ausgegangen, sondern von dem Nachkriegsjugendlichen, was
die arbeitstechnischen Bedingungen erleichtert, weil nicht auf die
unmittelbaren Auswirkungen im Krieg Bezug genommen wird. Als einer
der Vorreiter dieser Richtung wird Klaus Mann genannt, der in frühen Jahren bereits
aus seiner Jugend heraus seine ersten Romane verfaßte.
Bekannteste Gattung ist
jedoch der Schülerroman. Thomas Mann gibt vor, indem er in den
„Buddenbrooks“ die Lehrerschaft wie andere Akademiker übertrieben
aufzieht. In der Literatur wird Schule immer als Kampfplatz zwischen
den Generationen bezeichnet. Für die Austragung der Kämpfe in der
Schule wird ein grundsätzlich pädagogischer Ansatz verlangt, der
milde gesagt oftmals technischer Natur ist. Auf jeden Fall hat die
moderne Literatur das Interesse den ‚pädagogischen Provinzen’
zugewandt. Hierzu zählen Landschulheime und Freie Schulgemeinden in
denen der Jugendliche die Möglichkeit zur Entfaltung bekommen soll.
Die Anwendung auf eine konkrete und reale Situation zu suchen, wäre
hier allerdings unmöglich.
Die Arbeit bietet anhand
der Textquellen aus der Primärliteratur einen Dialog mit und über
die Jugend. Hierzu zählen Werke weithin unbekannter Autoren. Grundsätze
werden gegen Grundsätze gestellt, wobei die jungen Menschen weniger
organisch erscheinen als durch den Schock trüber Erfahrungen
belehrt. Rolf E.Maass
Ernst Erich Noth
Die Gestalt des jungen Menschen im deutschen Roman der
Nachkriegszeit
Dissertation von 1933
Hrsg. v. Lothar Glotzbach mit einem Vorwort
glotzi Verlag, Frankfurt am Main 2001
160 Seiten, broschiert
ISBN: 3-935333-01-3
Preis: 19,50 €uro
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